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Minority Safepack reached 1 Million signatures just before the deadline

"Wir kämpfen mit ungleichen Mitteln"

13-04-2018

Die Europäische Bürgerinitiative "Minority SafePack" hat in letzter Minute im Vorfeld des diesjährigen ECI-Tages bekannt gegeben, dass sie die Hürde von einer Million Unterschriften erreicht hat, die für die Berücksichtigung ihrer Vorschläge durch die EU-Kommission erforderlich ist. Dass die Initiative, die auf einen besseren Schutz von Minderheiten und Sprachenvielfalt in der EU hofft, die Schwelle erreicht hat, ist ein positives Zeichen für die Bürgerbeteiligung in Europa. Sie sind jedoch erst die fünfte EBI in sechs Jahren und dies erst nach einem langen Rechtsstreit mit der EU-Kommission. Wir sprachen mit Hans Heinrich Hansen, einem der Organisatoren der Initiative, über ihre Erfahrungen, ihre Schwierigkeiten und ihre Erwartungen an die Zukunft.

Interview von Caroline Vernaillen.

Erzählen Sie uns von der Europäischen Bürgerinitiative (EBI) ‚Minority SafePack’. Wie ist sie entstanden und was sind die Forderungen?

Die Initiative wurde von der Federal Union of European Nationalities, FUEN, einer der größten Dachorganisation für Minderheiten in Europa mit über 90 Mitgliedern in mehr als 30 Ländern, ins Leben gerufen. Auf unserem Kongress in Slowenien im Jahr 2010 hörten wir zum ersten Mal von einem Experten, dass die Europäische Union den Start der Europäischen Bürgerinitiative vorbereitet. Damals waren die Delegierten unseres Kongresses der Meinung, dass dieses Instrument  genau das Richtige für uns Minderheiten sei und dass wir eine Bürgerinitiative starten sollten.

Im April 2012 trat die Europäische Bürgerinitiative in Kraft.  Im Jahr 2013 hatten wir unseren Kongress in Brixen in Südtirol. Wir haben dort die vorbereiteten Forderungen diskutiert, mit denen wir erreichen wollten, die Bedingungen und den Rechtsschutz für Minderheiten in Europa zu verbessern. Wir haben diese Forderungen im Juli 2013 als Europäische Bürgerinitiative eingereicht.

Dann, zwei Monate später, im September 2013, erhielten wir eine sehr knappe Antwort von der Europäischen Kommission, dass die Initiative außerhalb ihrer Zuständigkeiten läge und daher nicht registriert werden könne. Deshalb wandten wir uns über unseren Anwalt an die Kommission, um herauszufinden, welche dieser Forderungen konkret außerhalb ihrer Zuständigkeiten liegen. Unser Argument: 2004 waren zehn Länder der EU beigetreten, unter der Bedingung, dass sie Minderheitenrechte in ihrer Verfassung verankern müssten, was sie auch alle taten. Diese Bedingung wurde von der Kommission gestellt. Wir verstanden also nicht, wie unsere Forderungen außerhalb ihrer Kompetenzen liegen könnten, wenn sie den Minderheitenschutz von den Mitgliedstaaten verlangt hatten.

Unsere Anwälte erhielten jedoch keine konkrete Antwort seitens der Kommission. Das hat für uns einen schwierigen Prozess ausgelöst, und das ist meiner Meinung nach auch der Grund, warum es so wenige EBIs gibt, die weitermachen: Wir mussten vor Gericht ziehen. Eine Klage auf Anerkennung einer EBI kostet natürlich viel Zeit und Geld und ist für die meisten Bürgerinitiativen tödlich.

Unser Gerichtsverfahren begann Ende 2013, die Gerichtsverhandlung fand im September 2016 statt und das Urteil wurde im Februar 2017 gefällt. In diesem Urteil wurde die Kommission in allen Punkten widerlegt - wir haben auf ganzer Linie gewonnen.

Nach dem Urteil fragten wir das Generalsekretariat der Europäischen Kommission, ob es nun mit uns darüber diskutieren könne, welche Punkte unserer EBI sie als Gegenstand einer EBI akzeptieren würden. Das führte dazu, dass sie neun der elf Punkte, die wir ursprünglich in unserer EBI formuliert hatten, akzeptierten.  Unsere Vorschläge betreffen den Schutz von Minderheitensprachen, Bildungsautonomie, Dienstleistungsfreiheit für den Rundfunk und so weiter.

Was war Ihre Strategie, um genügend Unterschriften zu bekommen? Was waren die entscheidenden Elemente für Ihren Erfolg?

 Wirklich entscheidend war - und dass wissen die meisten Menschen in Europa nicht - dass jeder siebte Bürger in Europa einer Minderheit angehört. Wir hatten also von vornherein ein riesiges Potenzial.  Darüber hinaus besteht unser Bündnis aus über 90 Organisationen in mehr als 30 Ländern: Das hiess, dass es eine große Anzahl von Menschen gab, die daran interessiert sind, diese EBI zu einem Erfolg zu machen und ihre Forderungen durchzusetzen. Es bedeutete auch, dass in den verschiedenen Ländern die Organisationen vor Ort die Initiative ergriffen und überall Unterschriften sammelten.

Sie haben jetzt die 1.000.000 Unterschriften bekommen, die für die Prüfung einer EBI durch die Europäische Kommission erforderlich sind. Was sind die nächsten Schritte?

Zuerst kommt nun das Prozedere. Wir haben etwa 1.216.000 Unterschriften gesammelt. Alle Mitgliedstaaten müssen diese Unterschriften jetzt noch einmal überprüfen. Die Erfahrung hat gezeigt, dass in der Regel zwischen 13% und 18% der Unterschriften unzulässig sind: Sie sind entweder doppelte oder ungültige Unterschriften. Auf jeden Fall haben wir einen Puffer von etwa 200.000 Unterschriften, also sollte es klappen mit der einen Million Unterschriften.

Die Mitgliedstaaten haben bis zu drei Monaten Zeit für die Überprüfung der Unterschriften.  Danach werden aus allen beteiligten Ländern Zertifikate mit der anerkannten Zahl der Unterschriften an die Kommission übergeben, die ebenfalls drei Monate Zeit hat. Es wird also September oder Oktober, bevor die Kommission überhaupt anerkennt, dass wir genügend Unterschriften haben. Erst dann werden sie sich mit unseren tatsächlichen Forderungen befassen, und es wird eine Anhörung vor dem Europäischen Parlament geben.

Was hoffen Sie, wird das Ergebnis Ihrer EBI sein?

Nachdem wir bereits Gespräche mit der Kommission geführt haben und wissen, dass unsere Punkte völlig im Einklang mit dem Lissabon-Vertrag stehen, sind wir guter Hoffnung, denn verweisen auf eine Rechtsgrundlage, die bereits existiert und völlig unbestritten ist. Die Schwierigkeit ist der Spagat zwischen der EU und den Mitgliedstaaten, da Minderheiten als Nationalstaatsangelegenheiten betrachtet werden.

Wenn Sie sich beispielsweise das Problem Katalonien ansehen, bin ich überzeugt, dass die EU hier völlig versagt hat. Es geht nicht darum, den Separatismus zu verurteilen, das tun wir alle. Aber es gäbe einen rechtlichen Kompromiss, um dieses Problem zu lösen: durch mehr Autonomie für Katalonien. In Europa haben wir das Beispiel Südtirol, wir haben das Beispiel der Schweiz, wo die Rätoromanen sogar auf Banknoten vertreten sind. Wir haben Belgien, wo es ein föderales System gibt, in dem sich Flamen, Deutsche und Wallonen zu Hause fühlen.

Ich erinnere an die EU-Kommissarin Viviane Reding: Als sie für die Bürgerrechte zuständig war, hat sie den französischen Präsidenten Sarkozy wegen seiner Politik gegenüber den Roma in seinem Lande gerügt.  Zum ersten Mal sahen wir, wie die Kommission einen Präsidenten eines Mitgliedstaates in Sachen Minderheitenschutz zurückrief.

Es gibt also Möglichkeiten, es gibt Beispiele, es muss nur formalisiert werden. Denn ohne Dialog werden wir die Probleme der Minderheiten nicht lösen können. Die EU braucht Instrumente, um diese Probleme in den verschiedenen Staaten zu lösen, und  für die Roma-Minderheit gibt es die größte Problemen. Unsere Forderungen beziehen sich auf die verschiedenen Möglichkeiten, wie wir den Minderheitenschutz umsetzen können, wir haben die meisten Themen abgedeckt.

Die Minority SafePack EBI hat einen langen Weg zurückgelegt, sie wurde erstmals im Jahr 2013 gestartet. Was sind Ihrer Erfahrung nach die guten und schlechten Seiten der EBI?

Im Prinzip ist die EBI eine gute Sache, weil sie versucht die europäischen Bürger und Bürgerinnen näher an die Europäische Union heranzuführen. Dem steht leider entgegen, dass so viele Hürden eingebaut sind, dass es kaum möglich ist eine erfolgreiche EBI durchzuführen. Das wird am deutlichsten, wenn man bedenkt, dass wir erst die fünfte Bürgerinitiative in sechs Jahren sind, die die notwendige Million erreicht hat. Und wir haben noch nicht die Zustimmung der Kommission, das werden wir erst im September oder Oktober wissen.

Was wir bisher wissen ist, dass eine EBI nicht die gleichen Möglichkeiten hat wie die etablierte Politik. Wir kämpfen mit völlig ungleichen Mitteln. Als Bürgerinitiative kostet es, wenn man wie wir vor Gericht gehen muss, etwa 80.000 bis 100.000 Euro. Sie sehen also, dass die Initiativen, die Erfolg haben, diejenigen sind, die große Organisationen hinter sich haben. „Wasser ist ein Menschenrecht“ hatte die europäischen Gewerkschaften, die Stammzellen-Initiative hatte die katholische Kirche hinter sich. Das sind alles sehr starke Organisationen und das ist nicht wirklich der Sinn einer Bürgerinitiative.

Es geht darum, dass eine Gruppe von Bürgern und Bürgerinnen, wenn sie eine gute Idee hat, diese in die Politik einbringen kann. Ich habe nichts dagegen, dass Sie für ihre Initiative kämpfen müssen, aber die Waffen müssen gleichwertig sein und das sind sie nicht. Politiker werden von den Bürgern und Bürgerinnen bezahlt, das Gericht von den Bürgern und Bürgerinnen, die Kommission von den Bürgern und Bürgerinnen, aber die Bürger und Bürgerinnen, wenn sie klagen wollen, müssen den Fall aus eigener Tasche finanzieren.

Unser zweiter Kritikpunkt: Als das Gericht das Urteil in unserem Fall verkündete, mussten wir sofort nach der Anerkennung unserer Forderungen durch die Kommission mit der Unterschriftensammlung beginnen. Wir haben vier Jahre auf dieses Urteil gewartet, dann mussten wir plötzlich loslegen. Man sollte Zeit haben, zum Beispiel ein halbes Jahr, um sich vorzubereiten.

Es braucht viel Zeit und Mühe bis die Bürger und Bürgerinnen Europas von einer EBI erfahren. Auch das ist ein Hindernis. Eine kleine Organisation kann ein solches Unternehmen einfach nicht durchführen. Das EBI-Tool muss verbessert werden. Die EBI ist eine gute Sache und sollte weiterbestehen, aber die Bedingungen müssen verbessert werden.

Unser dritter Kritikpunkt: Es ist noch immer offen, wie die Kommission sich zu einer EBI verhält. Meiner Ansicht nach müsste auch die Kommission verpflichtet werden, die EBI nicht nur zur Kenntnis zu nehmen, sondern auch Lösungsvorschläge für die genannten Probleme vorzulegen.

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