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“Der ecuadorianischen Regierung ist bange“

Alberto Acosta (Photo: Bruno Kaufmann)

“Der ecuadorianischen Regierung ist bange“

16-02-2017

Das südamerikanische Land Ecuador erlebte am Sonntag, den 19.02.2017, einen Superwahltag. Dabei kam es neben der Neuwahl des Präsidenten und des Parlamentes auch zu einem vom bisherigen Staatschef Rafael Correa ausgelösten Plebiszit. Dabei konnten die gut 16 Millionen Bürgerinnen und Bürger des Landes darüber abstimmen, ob es künftig den Staatsangestellten und gewählten Politikerinnen des Landes untersagt sein soll, ihr Geld in sogenannten Steueroasen auzulagern. Das Ergebnis: Bei einer Wahlbeteiligung von 20 Prozent stimmten 55 Prozent für die Reform. Wir sprachen dazu mit Alberto Acosta Espinosa, dem früheren Weggefährten und Energieminister von Präsident Correa.

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Warum hat Correa dieses Plebiszit anberaumt?

Nun, die Idee, Gelder zurückzuholen, ist als solche richtig: Politiker, die Gelder in Steueroasen verschoben haben, können nicht ein Land regieren. Wenn sie Gelder in ein Steuerparadies bringen, mangelt es ihnen an Vertrauen in ihr eigenes Land, und das ist ein sehr schlechtes Zeichen. Deshalb teile ich die Idee, dass man Steuerparadiese abschaffen sollte.

Aber warum Correa dieses Plebiszit anberaumt hat, das ist eine berechtigte Frage. Denn er braucht auch nach dem Volksentscheid ein Gesetz, das das Parlament verabschieden muss. Deshalb kann man fragen, warum der Präsident sein politisches Vorhaben nicht direkt durch das Parlament gebracht hat. Denn dort hat er ja die Mehrheit, seine Partei Alianza País hat über 100 der insgesamt 137 Sitze. Er hätte ein Gesetz also auch einfach so innerhalb mehrerer Tagen durchsetzen können.

Wie wurde in der Öffentlichkeit über die Volksabstimmung informiert?

Sehr wenig. Man findet kaum etwas auf der staatlichen Website über das Referendum (siehe http://cne.gob.ec). Zum allerersten Mal habe ich etwas über den Volksentscheid im Radio gehört, als ich am ersten Februar in einem Taxi auf dem Weg zum Flughafen war. Das war nur eine ganz kleine Anzeige, man hörte also praktisch nichts.

Wie erklären sich diesen Mangel an Informationen vor der Abstimmung?

Nun, die Realität ist ins Spiel gekommen. Stellen Sie sich mal vor, ein ecuadorianischer Staatsanwalt hat seine Gelder in einem Steuerparadies, und der Staatsanwalt gehört zum engsten Kreis des Präsidenten. Also viele Leute, die dem Präsidenten nahe stehen, haben Gelder in Steuerparadiesen, und die wollen nicht unbedingt, dass das bekannt wird und dann ihre Gelder zurückholen. Damit ist wirklich fragwürdig, was Präsident Correa mit dem Entscheid erreichen wollte. Die Frage lässt sich einfach nicht richtig beantworten.

Hat sich also Correa verkalkuliert?

Ich denke, dass er erst sehr spät verstanden hat, dass die Bevölkerung nicht über das eigentliche Thema, also Steuerparadiese, sondern über ihn als Person – gewissermassen sein politisches Erbe -  abstimmen werden. Das liegt in der Natur des Plebiszits. Und diesen Entscheid wollte Correa nicht wirklich riskieren.

Photo: Bruno Kaufmann

In der ecuadorianischen Verfassung sind neben dem Plebiszit, also Volksentscheide von oben, auch direktdemokratische Verfahren wie die Volksinitiative verankert. In der politischen Praxis kam es in den letzten zwanzig Jahren in 25 Fällen zu einem Plebiszit, aber nur in einem Fall zu einer Volksinitiative. Wie erklären Sie sich dieses Missverhältnis?

Der ecuadorianische Regierung ist bange. Sie möchte nicht zulassen, dass das Volk selbständige Entscheidungen trifft. Die gegenwärtige ecuadorianische Regierung ist an die Macht gekommen, nachdem die Bevölkerung gegen die neoliberale Politik Widerstand geleistet hat. Dann hat der jetzige Präsident Correa durch verschiedene Wahlen seine Macht schrittweise ausgeweitet. Und an dieser Macht hat er nun sehr gefallen gefunden.  

Bei den gleichzeitig mit der Volksabstimmung statfindenden Parlamentswahlen wechselten sich wie von der Landesverfassung vorgeschrieben männliche und weibliche Kandidaten auf den Listen ab. Funktioniert dieses Quotensystem?

Im Prinzip ja. Dieses System hat auch in den gewählten Gremien zu einem ausgeglicheneren Geschlechterverhältnis geführt. Aber in der gesellschaftlichen Praxis haben wir noch einen weiten Weg vor uns: Zum Beispiel kann man das Thema Abtreibung nach einer Vergewaltigung noch nicht einmal im Parlament diskutieren, weil der Präsident dies bislang nicht zugelassen hat.

Sie waren der Vorsitzende der verfassungsgebenden Verfassung von Ecuador 2007 und 2008. In der ecuadorianischen Verfassung gibt es seither einen Abschnitt über die Direkte Demokratie. Wie ist es zu diesem Artikel gekommen?

Die neue ecuadorianische Verfassung war insgesamt ein partizipatives Projekt: Die verfassungsgebende Versammlung hat in Montecristi, einem kleinen Ort nahe der ecuadorianischen Küste, getagt. Normalerweise hat die Stadt gerade einmal 20.000 Einwohner. Für die Ausarbeitung der Verfassung auszuarbeiten kamen aber insgesamt über 150.000 Menschen nach Montecristi. Sie haben ein starkes Beteiligungsrecht gefordert. Schon in vorigen Verfassungen gab es ein Recht auf direkte Mitbestimmung, aber die Bevölkerung hat dieses Recht als zu schwach empfunden und vor allem wurde es kaum in die Realität umgesetzt. Auch aus diesem Grund wurde der Vorgänger von Rafel Correa aus dem Präsidentenpalast gejagt.

Sie haben unmittelbare Erfahrungen damit, wie sich Bürgerinnen und Bürger eine Verfassung geben können. Haben Sie einen Tipp für einen EU-Konvent, der eine neue Verfassung für Europa ausarbeiten soll?

Ja, eine verfassungsgebende Versammlung braucht eine starke Beteiligung der Bevölkerung. Ich habe das Beispiel Montecristi erwähnt, wo tausende von Menschen zusammengekommen sind. Zudem sind zehn Ausschüsse durch das Land gereist, damit auch das Volk seine Wünsche für die neue Verfassung äußern kann. Das kann man lernen: Die Leute unmittelbar an Orten befragen, wo sie leben und Probleme haben, in Europa sind das zum Beispiel Städte wie Neapel oder Athen. Hin zu den Bürgerinnen und Bürgern zu gehen ist viel besser und mal etwas anderes, anstatt alles in Brüssel stattfinden zu lassen. Europa braucht eine neue Verfassung für die Menschen und nicht für das Kapital.

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Das Gespräch führte Cora Pfafferott am 03. Februar 2017 am Rande der Konferenz "Reclaim Democracy" in Basel.

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